2006

2006 – Wider den Kantönligeist

10. August 2021

Es war ein historischer Moment, als die Fachhochschule Nordwestschweiz im Januar 2006 eröffnet wurde. Nach zähen Verhandlungen waren die vier Trägerkantone in einem Boot. Doch nun galt es, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln – kein leichtes Unterfangen. Luzia Truniger, Gründungsdirektorin der Hochschule für Soziale Arbeit HSA FHNW, blickt zurück.

Am 9. Januar 2006 feierte die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) mit einem Fest ihre offizielle Eröffnung. Von einem «historischen Moment» sprach der Aargauer Bildungsdirektor Rainer Huber, der im Namen der vier Trägerkantone Aargau, Baselland, Basel-Stadt und Solothurn zum Start der FHNW gratulierte. Der kleinkarierte Kantönligeist sei in der Fachhochschulfrage vertrieben worden und habe einem echten Konsens Platz gemacht. «Jeder Kanton musste Fachrichtungen und Studiengänge abgeben – aber jeder hat nun insgesamt einen stärkeren Standort, vor allem aber eine stärkere Institution gewonnen», war Rainer Huber überzeugt.

Ein gradliniger Prozess war die Fusion nicht. Im Gegenteil. Luzia Truniger, Gründungsdirektorin der Hochschule für Soziale Arbeit HSA FHNW, erinnert sich: «Der Gründung der FHNW gingen sowohl Fusionen von Fachbereichen in den Trägerkantonen als auch ein Fusionsprojekt Fachhochschule ‘Aargau-Solothurn’ voraus. Neben den unterschiedlichen Phasen in der Fusionsgeschichte gab es auch unterschiedliche Ebenen. Das Zusammenspiel der politischen, strategischen und operativen Steuerung sowie der fachlichen Überlegungen war überaus anspruchsvoll. Es war ein mehrschichtiger, anforderungsreicher Prozess und ich schätzte es, sowohl in der Gesamtprojektleitung der Fusion der FHNW mitzuwirken als auch die Fusion der Fachbereiche der Sozialen Arbeit zu leiten.»

Für die neue Hochschule für Soziale Arbeit FHNW gab es viele Herausforderungen: Es galt, die Fachbereiche Soziale Arbeit der Hochschule für Pädagogik und Soziale Arbeit beider Basel, der FH Solothurn und der FH Aargau zusammenzuführen. Die Differenzen waren gross – bezüglich Organisation am Standort, Strategie, Kultur und Studienangebot – und alle konkurrierten auf engstem Raum um die Studierenden. Vom Profil her stand im Kanton Solothurn die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Fokus, vor allem Soziale Arbeit und Wirtschaft, im Aargau legte man Wert auf die Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit und die Forschungsstärke, in Basel ging es nach der Fusion der Sozialen Arbeit mit der Pädagogik darum, diese Schnittstelle mit gemeinsamen Angeboten zu füllen.

In der Fusionsvorbereitung wurde eine emotionale Debatte darüber geführt, ob man eine standortbezogene interdisziplinäre Ausrichtung wollte oder eine standortübergreifende fachbezogene Struktur. Schliesslich wurde mit Stichentscheid des Gesamtprojektleiters eine standortübergreifende fachbezogene Struktur beschlossen. Teilweise neu zusammengeführte Fachbereiche mussten wieder auseinanderdividiert werden. Dies war für viele Mitarbeitende schwierig. Auch war eine Fusionsmüdigkeit zu spüren. Kein Wunder also, dass es bedeutsam war, die Mitarbeitenden für den Aufbau einer neuen Hochschule zu gewinnen. Mit einem breit angelegten Prozess zur Erarbeitung einer FHNW-Vision entstand Aufbrauchstimmung, vor allem auch, als klar wurde, dass der Staatsvertrag durch die vier Trägerkantone zustande kam und tatsächlich ein neuer Bildungsraum Nordwestschweiz entstehen würde. Luzia Truniger führt dazu aus: «Die Möglichkeit, in einer bildungspolitisch hoch spannenden Phase einen neuen Hochschultyp mitzuprägen und mit grossem Handlungsspielraum eine neue Hochschule aufzubauen, fand ich einmalig und ich setzte mich mit voller Überzeugung dafür ein.» Ihr Engagement und ihre Begeisterung waren sicher auch motivierend für andere.

Mit dem Start der HSA FHNW galt es, die Fusion umzusetzen. «Gleich nach dem Start stellten wir zum Beispiel fest, dass für die Weiterbildungsangebote ganz unterschiedlich inseriert wurde. Wir hatten daher umgehend Marketingfragen zu klären und zu schauen, wer die Inserate schaltet. Aber nicht nur Prozesse waren zu definieren. Wir hatten den Anspruch, alle Leistungsbereiche fachlich zu fundieren und unser Verständnis zu klären, Konzepte zu erarbeiten und eine gemeinsame Kultur zu entwickeln.» 2006 musste zudem der Standort Brugg aufgelöst und nach Olten überführt werden. Eine weitere Herausforderung war schliesslich die Lehre: «Wir haben zu Beginn bewusst die fünf unterschiedlichen Bachelor weitergeführt. Erst in einem zweiten Schritt haben wir sie per Herbst 2008 in einem separaten Projekt weiterentwickelt und zu einem Bachelorstudium zusammengeführt. Gleichzeitig wurde auch das Masterstudium, das ebenfalls mit einem anspruchsvollen Entwicklungsprozess verbunden war, zum ersten Mal durchgeführt.“

Zum Fusionsprozess und zur Gründungszeit der HSA FHNW siehe das ausführliche Interview mit Luzia Truniger.

Und wie mit der HSA FHNW später weiterging ist im Interview mit Agnès Fritze nachzulesen.

Informationen aus:

  • Basler Zeitung, 10.1.2006, «’Kantönligeist’ vertrieben»
  • Gespräche mit Luzia Truniger, 23.4.2021 sowie 5.5.2021
zurück zu allen Beiträgen

Kommentare

Keine Kommentare erfasst zu 2006 – Wider den Kantönligeist

Neuer Kommentar

×